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5000 Jahre Stuhlgeschichte
vom Thron zum Kultobjekt
Im Vergleich zur Menschheitsgeschichte nimmt die Erfindung des Sitzmöbels einen erstaunlich kurzen Zeitraum ein. Erste Spuren der Herstellung von drei- oder vierbeinigen Hockern stammen aus der Jungsteinzeit. Die eigentliche Entwicklung des vierbeinigen Stuhles mit Sitzfläche und Rückenlehne begann vor 5.000 Jahren, als Kaiser, Könige und Kirchenfürsten den Thron zum Symbol ihrer Herrschaft machten. Lange Zeit nur einer elitären Minderheit zugänglich, erhielt der Stuhl erst im 16. Jahrhundert Einzug in die bürgerlichen Wohnhäuser und blieb bis ins frühe 19. Jahrhundert Ausdruck von Wohlstand und Macht.
Heute erfüllt er vielerorts als günstiger Gebrauchsgegenstand seinen Zweck, während Modelle von höherem materiellem Wert als Ausdruck des individuellen Geschmacks, zum Teil auch als Prestigeobjekt, Wohnungen, Büros und Museen schmücken.
Entscheidend für die Wandlung des Stuhls vom handgefertigten Einzelstück zum industriellen Massenprodukt war der Einsatz neuer Techniken im 19. Jahrhundert. Die Firma Thonet aus dem hessischen Frankenberg gilt hier als wegweisend.
Michael Thonet
Thonet – Die älteste Möbelmarke der Welt
Als Tischlermeister Michael Thonet um 1830 seine ersten Stuhlentwürfe aus gebogenem Schichtholz präsentierte, hatte er fast 10 Jahre mit neuartigen Holzbiegetechniken experimentiert. Mit dem Wiener Caféhaus-Stuhl (Stuhl Nr. 14) von 1859 gelang ihm der Durchbruch zur industriellen Fertigung. Für Thonet bedeutete dies den Aufstieg zum Weltunternehmen.
Ab 1930 nahm sich das Unternehmen auch der Herstellung von Möbeln aus gebogenem Stahlrohr, darunter dem freischwingenden, hinterbeinlosen Kragstuhl, an und verhalf dank seines Rufes als Produzent von preiswerten, qualitativ hochwertigen Möbeln den Entwürfen von Mart Stam, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer zu Weltruhm.
Heute fertigt Thonet in fünfter Generation neben den bekannten Klassikern aus Bugholz und Stahlrohr zahlreiche Wohn- und Arbeitsmöbel. Die Liste der für das Unternehmen tätigen Architekten und Designer ist lang.
Thonet Caféhaus-Stuhl, Stuhl Nr. 14, Michael Thonet, 1859
Thonet Kragstuhl, S32, Marcel Breuer 1929/30
Zur Verjüngung des Sortiments trug Stefan Diez bei, als er mit der Serie 404 einen Entwurf lieferte, der das Zeug zum neuen Klassiker hat.
Interview mit Stefan Diez bei „art-magazin.de“
Auch für die japanische Lifestylekette Muji entstehen in Frankenberg seit 2008 vereinfachte Versionen von Bugholz- und Stahlrohrmöbeln, die ein jüngeres Publikum erobern sollen.
Mit seinen richtungsweisenden Produkten, vor allem aber dank des mittlerweile 150-jährigen bestehenden Stuhles Nr. 14, ist der Name Thonet längst unsterblich geworden.
Nicht nur ein Möbelstück
Mit dem Zeitalter der industriellen Fertigung begann eine Epoche des Experimentierens mit Materialien und eine Zeit der gestalterischen Entwicklung, die vor allem durch das Bauhaus geprägt wurde. Der Stuhl ist nicht nur Möbelstück, seine abendländische Kulturgeschichte spiegelt sich in Design, Kunst und Literatur wider. Dank der rasanten Entwicklung der letzten 200 Jahre Stuhlgeschichte können wir als Einrichter aus einer unglaublichen Vielfalt schöpfen und fast jedem Stuhl ein schönes Zuhause geben.
Sitzmaschine, Josef Hoffmann, 1905 ca.
D51, Walter Gropius, 1910/11
Kragstuhl S43, Mart Stam, 1931
Frankfurter Küchenstuhl, anonym, 1930-35
Plastic Chair, Ray & Charles Eames, 1948
Ulmer Hocker, Max Bill, 1954/55
Tulip, Eero Saarinen, 1956
Alu Chair, Ray & Charles Eames, 1958
Panton Chair, Verner Panton, 1959/60
Seconda, Mario Botta, 1982
Tate, Jasper Morrison, 2000
Carbon Chair, Bertjan Pot, Marcel Wanders, 2004
Rainbow Chair, Patrick Norguet, 2000
Stitch, Adam Goodrum, 2008
Sharpei, Massimilano Adami, 2008
Links und Tipps
- Mehr über Thonet: www.thonet.de
- Bauhaus, Edition 3/09
- Ausstellung Casa del Mago
- Thonet-Produkte bei Seipp
Bildnachweis
Pictogramme Stühle: © sabri deniz kizil, #10432518 – fotolia.de